In breiten Schichten der Bevölkerung herrschte lange die Ansicht, dass Lehrpersonen eigentlich eine eher «ruhige Kugel schieben», mit 13 Wochen Ferien und überschaubarem Schulpensum. Doch plötzlich wandelt sich das Bild, denn die Schulschliessungen und der damit verbundene Homeschooling-Unterricht verlangen den Lehrpersonen ein enormes, zusätzliches Engagement ab.
In einer Leistungsgesellschaft, in der sich die meisten Berufsleute angespannt und sehr gefordert fühlen, hatte sich über die Jahre eine leise Diskriminierung dieser Berufe eingeschlichen. Doch neue Studie zeigen, dass die 46-48 Stunden-Woche, dank vieler Überstunden, für die Lehrkräfte die Regel sind. Rechnet man richtig, so ergeben sich für Lehrpersonen auch nur knapp 5 Wochen echte Ferien. Dies auf Grund der geforderten Weiterbildung, die in der schulfreien Zeit absolviert werden muss, aber auch wegen des hohen Drucks der andauernden Umgestaltung im Bildungswesens, wie bei der Einführung des Lehrplans 21.
Lehrpersonen sind unter Corona besonders wichtig
Zunächst einmal bedeuten die Schulschliessungen, die aufgrund der Coronakrise beschlossen wurden, keinesfalls, dass Lehrer nicht arbeiten müssen. Sie sind im Gegenteil weiterhin verpflichtet, ihre Schüler (online) zu unterrichten beziehungsweise mit Lernstoff und Übungsaufgaben zu versorgen. Zudem ist es die Aufgabe der Schulen und Lehrkräfte eine notwendige Betreuung für Kinder, deren Eltern nicht anwesend sein können, in Schulen sicherzustellen.
Natürlich sind das Gesundheitswesen, aber auch andere Bereiche wie beispielsweise der Ernährungs- und Energiesektor auf der politischen Agenda mehr gewichtet als der Bildungsbereich. Es wäre aber äusserst kurzsichtig die Relevanz des Bildungsbereichs zu unterschätzen.
Bildung ist ein Menschenrecht
Doch Bildung ist ein grundlegendes Menschenrecht: «Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung.“ – Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 26».
Auch Verlautbarungen der UNO im Jahr 1999 unterstreichen die zentrale Rolle der Bildung in aller Deutlichkeit.
Zugänglichkeit: Der Zugang zu Bildung darf keinem Menschen rechtlich und faktisch verwehrt werden. Insbesondere für die schwächsten Gruppen muss Bildung frei zugänglich sein, was zum Beispiel Kinder aus armen oder sozial benachteiligten Familien besonders betrifft.
Adaptierbarkeit: Bildung muss sich an die Erfordernisse sich verändernder Gesellschaften und Gemeinwesen anpassen. Wenn sich die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen ändern, dann muss sich das Bildungssystem darauf einstellen – und nicht etwa umgekehrt.
Darüber hinaus ist Bildung äusserst wichtig für die Entwicklung und Zukunftsfähigkeit eines Landes.
Lehrer/in ist ein systemrelevanter Beruf
Denn ohne diese kann das Recht auf Bildung nicht durchgesetzt werden. Damit ist nicht der Präsenzunterricht in der Schule gemeint. Im Sinne der oben genannten Adaptierbarkeit kann Bildung auch per Online-Unterricht vermittelt werden. Unabhängig davon, ob online oder in der Schule – Bildung darf niemals vernachlässigt werden. In beiden Fällen aber brauchen wir Lehrkräfte, die Kinder und Jugendliche unterrichten. Die aktuelle Situation darf nicht dazu führen, dass die Bildung auf der Strecke bleibt.
Politische Konsequenzen
Um einen funktionierenden Online-Unterricht zu ermöglichen, müssen die Lehrkräfte vom Staat unterstützt werden:
Der Online-Unterricht muss überhaupt möglich gemacht werden, da nicht alle Kinder die nötigen Voraussetzungen haben. Viele Eltern haben nicht genügend Geld, um ihren Kindern Laptops oder Tablets zu kaufen und die notwendigen Programme, um die man beim Online-Unterricht nur schwer/nicht drum herumkommt. Unerlässlich ist eine zeitgemässe, gut funktionierende und für alle zugängliche technologische Ausrüstung nicht nur für den Unterricht in den Schulen, sondern auch zu Hause.
Ebenso gibt es viel zu wenig Online-Schul-Angebote, wie stufen- und stoffgerechte E-Learnings und digitale Arbeitshilfen.
Lehrkräfte müssen aber auch Priorität bei den Impfprogrammen erhalten, für alle, die wieder in Schulen unterrichten und sich freiwillig schützen wollen, genauso wie Menschen in Pflegeberufen, Ärzte, Busfahrer, Polizei und Ladenpersonal.
Gespräch mit einer Lehrkraft
In den letzten Monaten war an vielen Orten kein direkter Unterricht möglich. Wie stark hat Sie das Homeschooling belastet?
Nachdem ich bereits zuvor schon viele Materialien digitalisiert hatte, entsprach der Aufwand dem meines Unterrichts zu regulären Zeiten. Das sind bei mir, die administrativen Arbeiten, sowie die Vor- und Nachbereitung mitgerechnet immer etwa 40-45 Stunden pro Woche; genau rechne ich das allerdings nicht nach. Ich kenne aber einige Kollegen, die für das Zusammenstellen der Materialien und die Anleitung der Schüler echt viel Mehrarbeit leisten müssen.
Wie kommen Sie und Ihre Schüler mit der heutigen Situation zurecht?
Der einfachste Weg für mich ist die direkte Verteilung von Materialien über E-Mail ab meinem PC an die Schüler oder die Mailadressen der Eltern. Wenngleich sich manche Eltern darüber aufregen, dass ihr Postfach überlastet wird… Wir können bei uns zudem eine eigene Schulplattform dafür nutzen, die Schüler über Mail zu erreichen. Gute Möglichkeiten ergeben sich auch auf diversen Austauschplattformen, wo man Dateien oder Verlinkungen zur Verfügung gestellt erhält. Leider sind nur wenige kostenlos.
Wie hat sich das Verhältnis zwischen Ihnen, den Schülern und den Eltern entwickelt?
Ich erhalte recht wenig direkte Rückmeldungen, vor allem weiss ich praktisch gar nichts über die eher schwachen Schüler und ihre Probleme. Nur bei E-Test und E-Learning kann ich Resultate sehen oder einverlangen. Im Gespräch mit den Schülern selbst ist es da aufschlussreicher als mit den Eltern. Aber ich hoffe, dass sich das nach und nach verbessert, da die Eltern unsere Anstrengungen sicher wahrnehmen.
Welche Auswirkungen haben die aktuellen Erfahrungen auf den kommenden Unterricht?
Ein normaler Präsenzunterricht ist im Moment – und wohl auch für die nächste Zukunft – nur stark eingeschränkt möglich. Aus Vorsicht und um die Abstandsregeln einhalten zu können, müssen vielerorts die Klassen geteilt werden; das Stundenpensum der Lehrpersonen erhöht sich damit. Die Abschlussklassen können so zwar bedingt an der Schule unterrichtet werden, aber die digitale Versorgung für den Rest muss ja auch weiterlaufen. Und eine Art Schichtbetrieb mit Vormittag/Nachmittag ist wegen der Schulwege und der notwenigen, zusätzlichen Unterrichtstunden eher schwierig.
In den Schulen treffen sich sehr viele Menschen. Sehen sie sich als Lehrkraft einer besonderen Infektionsgefahr ausgesetzt? Machen Sie sich Sorgen, sich zu infizieren?
Es gibt an meiner Schule viele Lehrkräfte, die sich Sorgen machen. Risikoträger müssen zwar ohne Impfung nicht unterrichten, aber wir haben etliche Kollegen und Kolleginnen, die mit Risikoträgern in einem Haushalt leben. Ich bin aber dennoch der Meinung, dass wir das Leben und insbesondere die Schulen sobald möglich wieder weiter öffnen müssen. Das bedingt allerdings sehr gute Schutzkonzepte mit kostenlosen Masken für alle Lehrkräfte und eine entsprechende Impfstrategie, um die Lehrpersonen, die Schüler und deren Familien besser zu schützen.
Danke für das Gespräch.
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